Ich wäre nicht so weit ohne die Therapie

Jeder hat hier grosse Herausforderungen zu meistern. Die Tagesstruktur und die Therapien helfen Frau Ulbrich, nach ihrem Schlaganfall ihre Selbständigkeit wiederzuerlangen.

Nach ihrem Schlaganfall Ende September 2021 war Susanne Ulbrich von Oktober 2021 bis Ende Februar 2022 in der Reha Rheinfelden stationär in der Rehabilitation. Seither besucht Sie zweimal pro Woche das Neurologische Tageszentrum (NTZ) und wohnt mit Ihrem Partner in Wehr (DE) in der Ferienwohnung. Die Tagesstruktur im NTZ ist mittlerweile ein zweites Daheim geworden.

Frau Ulbrich, wann hatten Sie Ihren Schlaganfall?

Ich hatte den Hirninfarkt am 25. September 2021. Mitte Oktober bin ich dann stationär in die Reha Rheinfelden gekommen und war bis Ende Februar 2022 stationär - seitdem war ich nicht mehr zu Hause in Hannover, Deutschland.

 

Sie kommen aus Hannover. Warum haben Sie sich für die Reha Rheinfelden entschieden?

Der Seniorchef meines Lebensgefährten war hier in der Klinik und war begeistert. Mein Partner arbeitet in Bad Säckingen. Nun haben wir seit Oktober 21 eine Ferienwohnung in Wehr, dass mein Partner mich immer besuchen konnte. Und seit Ende Februar 22 bin ich im Neurologischen Tageszentrum (NTZ) und wohne in der Wohnung in Wehr.

 

An was erinnern Sie sich in den ersten Tagen nach dem Ereignis?

Ich hatte gar kein Gefühl im linken Arm und Bein, konnte nichts spüren. Ich war komplett unselbständig – das war das Schlimmste für mich. Ich bin immer ein sehr aktiver Mensch gewesen, habe im Aussendienst gearbeitet und hatte viele Hobbies: Sport, Wandern, Joggen, Velofahren..

 

Was waren Ihre Gedanken in den ersten Tagen nach dem Schlaganfall?

Ich habe mich abhängig und hilflos gefühlt – was ich auch war. Das Ausmass ist mir allerdings erst ein paar Wochen später bewusstgeworden, als ich dann hier in der Reha Rheinfelden war.

 

 

Was war das Schwerste für Sie?

Schwer war und ist es immer noch – Geduld aufzubringen. Fortschritte kommen, doch sind sie oft sehr klein. Jeder kleinste Fortschritt hat mich motiviert. Glücklicherweise bin ich in der Lage, meine Fortschritte auch zu sehen. Zudem gab und gibt es für mich keine Alternative – nur Dranbleiben hilft!

 

Wie gehen Sie mit Zwischentiefs um? Wie holen Sie sich wieder da heraus?

Natürlich habe ich immer mal Rückschritte gemacht und es gibt diese weiterhin. Meine Lebenseinstellung war schon immer, dass es auch immer schlimmer sein kann. Ich bin so froh, dass ich überlebt habe. Auch ist medikamentöse Unterstützung sehr wichtig, diese Medikamente sehe ich als Hilfsmittel. Ich war vorab kein sehr gläubiger Mensch – doch nun habe ich immer wieder Zwiegespräche mit "oben" – das gibt mir Hoffnung.

 

Das NTZ ist persönlich, wie eine Familie

 

Was sind Ihre tollsten Erfolgserlebnisse?

Als sich das erste Mal – ohne zu überlegen – gelaufen bin. Das war Mitte April dieses Jahres. Bis dahin musste ich immer alles vorher überlegen, vor jedem einzelnen Schritt. Mitte April dann das erste Mal wieder automatischer! Ein unglaubliches Gefühl! Und am 10. Juni bin ich das erste Mal zwei niedrige Stufen spontan ohne Nachzudenken gegangen.

 

Was machen Sie alles, dass Sie so Fortschritte machen konnten?

Ich setze viele Tipps von Therapeuten um, ich laufe auch daheim viel. Ich mache alles, was geht selbständig. Meine linke Hand kann ich leider (noch) nicht aktiv einsetzen. Ich habe die App Strokecoach für das Eigentraining. Wenn man Übungen abgeschlossen hat werden neue aufgeschaltet. Das macht Spass.

 

 

Was ist anders an Ihrem «jetzigen Leben»?

Ich bin demütig geworden – was früher für mich wichtig war, hat an Bedeutung verloren. Es gibt so viele Jugendliche und Erwachsene, die behindert sind – die so viel Lebensfreude ausstrahlen, die Sport machen – das sind nun Vorbilder für mich.

Seit Oktober 21 war ich nicht mehr daheim in Hannover. Ich bin nicht mehr so mobil, wie ich gerne sein würde. (Frau Ulbrich kann aktuell ca. 50 m gehen, sonst ist sie im Rollstuhl mobil). Mich waschen und anziehen kann ich ohne Hilfe, auch koche ich mir Kleinigkeiten in unserer Ferienwohnung in Wehr. Mein Partner arbeitet 100% - vom Deutschen Roten Kreuz werde ich zwei Mal in der Woche ins NTZ gefahren.

Ich habe von Beginn an Tagebuch geschrieben, was mir sehr geholfen hat. Dort habe ich die wichtigsten Momente niedergeschrieben. Ich habe aber noch nicht wieder drin gelesen – es ist auch so alles noch sehr präsent in meinem Kopf.

 

Haben Sie auch mal «die Nase voll»?

Mein Partner und ich machen immer mal wieder ein verlängertes Wochenende im Allgäu. Das tut mir und uns sehr gut. Wir geniessen Zeit zusammen und unternehmen trotz allem schöne Sachen. Es gab und gibt immer wieder depressive Phasen, in denen es mir nicht gut geht. Ich habe für mich einen guten Weg gefunden, damit umzugehen. Wo Sonne ist, ist auch Schatten.

 

Welchen Stellenwert nimmt die Therapie in Ihrem Leben ein?

Die Therapeuten hier – und auch die Pflegefachkräfte – sind Gold wert! Ich habe auch an allen Bobath-Kursen als Patientin teilgenommen, wenn ich angefragt wurde. Ich kann ja nur profitieren! Am liebsten möchte ich so lange hierbleiben, bis ich gesund bin.

 

Ich bin immer aufgestellt hier – am Abend war ich platt, aber glücklich

  

Haben Sie Ziele in Ihrem Leben, welche Sie nach dem Ereignis unbedingt noch erreichen wollen?

Ich möchte unbedingt irgendwann wieder Autofahren können. Und dass man mich nicht immer fragt: «Kann ich Ihnen helfen?» – das ist lieb gemeint – aber, wenn ich das nicht mehr höre, weiss ich, dass es mir gut geht.

 

Wenn Sie ein Symptom an Ihrer Krankheit jetzt verändern könnten – was wäre das?

Wenn ich die Wahl hätte zwischen Gehen und meiner Hand – es wäre toll, wenn ich meine Hand, meinen Arm wieder im Alltag einsetzen könnte. Das Laufen entwickelt sich recht gut und wird kein «Zaubern» benötigen.

 

 

Hören Sie auf das, was Ihr Körper Ihnen sagt?

Ich benötige viel mehr Ruhepausen nach dem Hirninfarkt, da achte ich auch sehr drauf und geniesse sie mittlerweile. Auch daheim ist mir das wichtig, mein Partner unterstützt mich sehr in meiner Kräfteeinteilung.

 

Was wirkt für Sie hier «typisch Schweizerisch»?

Alles mit dem "i" hinten… wie Brötli, Gipfeli… Ich kannte die Schweiz vorher gar nicht. Die Sprache ist für mich schon nicht immer verständlich (lacht).

 

Zwischendurch kommt ein anderer ehemaliger Patient, Herr Meier, zum Interview dazu, der gerade im NTZ zu Besuch ist:

Ich bin absoluter Fan von euch, von der Reha Rheinfelden! Ich weiss nicht, wo ich gelandet wäre – ohne euch!

 

Frau Ulbrich – was ist Ihnen noch wichtig?

Das Selbsthilfetraining jeden Morgen beim stationären Aufenthalt war bombastisch – ich habe da so viel gelernt.

 

Herr Meier bringt sich ein:

Als ich das erste Mal in der Reha im Stehen duschen konnte – das war der Wahnsinn!

 

Frau Ulbrich:

Therapeuten und Pflegefachkräfte haben so viel Einfluss auf die Patienten mit dem, was sie sagen und wie sie einen behandeln - besonders in der Anfangszeit. Gerade heute Morgen habe ich gedacht mit Frau Nussbaumers Stimme im Ohr: "Frau Nussbaumer hätte jetzt gesagt, springen Sie nicht so in die Hose!" (lacht).

 

Reha Rheinfelden

Rehabilitationszentrum