Zurück in die Selbstständigkeit

Auf einer Wanderung brach Béatrice Flückiger plötzlich zusammenbrach. Im Spital bekam sie die Diagnose Hirnblutung mit Halbseitenlähmung links. Ein Schock. Und ein grosser Einschnitt in ihr bis anhin so aktives, selbstbestimmtes Leben. Wie sie den Weg zurück in ein aktives Leben gefunden hat und wie es ihr erging verrät Sie im Interview.

Beatrice Flückiger in der Küche.

Vor ihrem Schlaganfall war Béatrice Flückiger kerngesund und berufstätig. Sie arbeitete als Hauswirtschaftslehrerin und auch privat stand bei ihr immer etwas auf dem Programm. Die ausgebildete Wanderleiterin war gerade auf einer Wanderung, als sie plötzlich zusammenbrach. Im Spital bekam sie die Diagnose Hirnblutung mit Halbseitenlähmung links. Ein Schock. Und ein grosser Einschnitt in ihr bis anhin so aktives, selbstbestimmtes Leben.

Reha: Was war für Sie die grösste Herausforderung nach der Hirnblutung?

Béatrice Flückiger: Nach 5-monatigem Spital- und Rehabilitationsaufenthalt wollte ich in mein schönes Heim zurückkehren (und nicht in eine rollstuhlgängige Wohnung, wie mir geraten wurde). Dort wollte ich meine Selbständigkeit zurückerlangen. Dies schien mir am Anfang beinahe ein Ding der Unmöglichkeit, denn ich lebte alleine. Zudem war ich ein Jahr lang auf den Rollstuhl angewiesen. Meine allergrösste Herausforderung war es, den Sinn meines neuen Lebens zu finden und zurückzugewinnen. 60 Jahre lang hatte ich diesen nie wirklich suchen müssen. Der Musiktherapeut half mir dabei, indem er einmal meinte: «Sie müssen nur SEIN.» Ich bin ihm immer noch sehr dankbar für diesen weisen Rat, obwohl es dauerte, bis ich begriffen habe, wie dieser umzusetzen ist.

Wie hat sich Ihr Alltag verändert?

Mit einem Hirnschlag verändert sich ein Leben komplett. Hier kleine Beispiele: Bis nur meine Blase wieder ohne Dauerkatheter funktionierte, dauerte es Wochen… oder bis ich meinen BH ohne Hilfe schliessen konnte, benötigte ich Monate. Die Fingernägel selber zu schneiden, das geht auch heute noch nicht oder wie soll ich mit einer Hand einen Nagel an der Wand einschlagen, um ein Bild oder einen Kalender aufhängen zu können? Ich brauche für vieles Hilfe von meinen Kindern oder Freunden.

Gibt es auch Positives, das aus der schwierigen Situation hervorging?

Gestalten Sie Ihr Leben bewusst anders nach diesem Ereignis?

Wenn man es geschafft hat, mit seinem Schicksal nicht mehr zu hadern, gewinnt man ein Leben mit viel Schönem. Oft erhalte ich von Mitmenschen die Rückmeldung, dass sie mich bewunderten, weil ich mein nicht sehr einfaches Leben so positiv meistern würde. Ich bin also ungewollt zu einem Vorbild geworden.

Woraus ziehen Sie Kraft, Motivation und Spass?

Meine grosse Familie und mein Freundeskreis helfen mir, den Alltag zu bewältigen. Das grösste Geschenk ist für mich, dass ich vor beinahe sieben Jahren Oma geworden bin. Bis heute sind es fünf Enkel (Tendenz immer noch steigend). Viel Kraft schenken mir mein Garten sowie das Mitsingen in einem Chor, die Mitgliedschaft bei den Rosenfreunden und in einem Kulturverein und natürlich das Reisen.

Beatrice Flückiger bestaunt Blumen.

Beatrice Flückiger auf Wanderung.

Haben Sie eine «persönliche Weisheit»?

Im Heute und Jetzt zu leben und sich nicht wegen Kleinigkeiten aufzuregen. Meist gelingt es mir, aber auch nicht ganz immer. Zum Beispiel, wenn mir der Zug vor der Nase wegfährt, weil ich zu lange brauchte beim Umsteigen.

Was vermissen Sie nach der Hirnblutung? Und was haben Sie dazugewonnen?

Am meisten vermisse ich die Leichtigkeit meines Körpers, vor allem beim Gehen. In der linken Körperhälfte «zieht und rumort» immer etwas und manchmal fühlt es sich an «wie gespannte Drahtseile». Zudem fällt es oft schwer, mit Spas­tiken umzugehen. Gewonnen habe ich eine grosse Gelassenheit – «Bobos» und «Wehweh­chen» von Bekannten und das Gejammer darü­ber kann ich meist nicht mehr ernst nehmen.

Sie reisen ja viel – (wo) stossen Sie dort an Grenzen?

Dies beginnt bereits beim Koffertragen auf den 34 Stufen, die von meinem Haus hinunter auf die Strasse führen. Dann geht es ein steiles Weg­stück hinab bis zur Postautohaltestelle. Auf dem Bahnsteig traue ich mich, jemanden um Hilfe zu bitten, mir den Koffer in den Zug zu heben. In Hotels stosse ich auch an Grenzen, wenn Bade­zimmer und Duschen nicht behindertengerecht ausgerüstet sind. Eine wunderbare Reisemög­lichkeit ist eine Fluss-Schifffahrt; dort schwimmt das Hotelzimmer mit und ich muss erst am Tag der Abreise wieder meine Koffer packen.

Sie kommen seit langem zu uns in die Thera­pien. Wie helfen diese Ihnen im Alltag?

Es gibt motorische Funktionen, an deren Ver­besserung wir seit Jahren arbeiten wie etwa das «Knie schwingen lassen» oder das «Loslassen und Nichthochziehen der Hüfte». Ich bin meines Wissens eine der ersten Patientinnen in der Reha Rheinfelden, welche die sogenannte Inter­vall-Therapien belegen darf. In diesen Inten­sivtherapien können wir gemeinsam Schwer­punkte setzen und daran arbeiten. Danach geniesse ich meinen Freiraum. Die Therapien helfen, dass ich in meinem Alltag die erlangte Mobilität möglichst lange beibehalten kann. Ich bin an dieser Stelle meinen Therapeutinnen von Herzen dankbar für ihre professionelle Hilfe und Motivation.

Intervall-Therapie: In neun Wochen des Jahres werden 36 Physiotherapien und 24 Ergotherapien durchgeführt.

Beatrice Flückiger im Portrait.

Reha Rheinfelden

Rehabilitationszentrum