24 Jahre Schwerpunkt Bewegungsstörungen

Dr. med. Heiner Brunnschweiler tritt in den Ruhestand und blickt auf eine bewegte Karriere zurück.

Fast ein Vierteljahrhundert lang hat Dr. med. Heiner Brunnschweiler als Leitender Arzt der Neurorehabilitation und stellvertretender Chefarzt Neurologie den Bereich Neurologische Rehabilitation an der Reha Rheinfelden mitgeprägt und ausgebaut. Nun tritt er Ende 2023 in den Ruhestand. Im Gespräch blickt er auf die Entwicklungen in seinem Fachgebiet Bewegungsstörungen zurück und sieht die Reha für die Zukunft bestens aufgestellt.

Herr Brunnschweiler, nach 24 Jahren als Leitender Arzt für Neurorehabilitation und stellvertretender Chefarzt Neurologie mit Schwerpunkt Bewegungsstörungen an der Reha Rheinfelden treten Sie Ende 2023 in den Ruhestand. Wie hat sich die Neurologische Rehabilitation, die Sie fast ein Vierteljahrhundert lang mitgestalten und ausbauen durften, entwickelt und verändert?

Die Neurorehabilitation hat sich in dieser Zeit insgesamt sehr stark entwickelt. Für die Reha Rheinfelden zeigt das schon rein aus quantitativer Sicht ein Zahlenvergleich sehr eindrücklich. Verglichen mit seiner Anfangszeit, gibt es heute rund vier Mal mehr neurologische Patientinnen und Patienten in der Reha Rheinfelden. Aber auch sonst hat sich vieles verändert. Ganz wesentlich scheint mir: Das Verständnis für Zusammenhänge ist wichtiger geworden und man hat immer mehr gelernt, interdisziplinär zu arbeiten. Hier spielen natürlich auch die modernen technologischen Hilfsmittel eine wichtige Rolle, über die alle Beteiligten – Ärzte, Pflegepersonal, Therapeutinnen und Therapeuten – gleichzeitig und quasi in Echtzeit Zugang zu den Patientenakten haben. Das war früher so nicht möglich und erleichtert die interdisziplinäre Arbeit.

Was in diesem Zusammenhang sicher noch ausgebaut werden kann – und da sind wir dran – ist die Zielabstimmung: Das individuelle Ziel der einzelnen Patientinnen und Patienten rückt immer mehr in den Fokus und kann wirklich aufbauend verfolgt werden.

Dann hat sich auch der Schweregrad der Patientinnen und Patienten verändert. Ein gutes Beispiel ist hier das Thema Schlaganfall. Heute können Menschen nach einem Schlaganfall deutlich früher vom Akutspital in die Reha verlegt werden und wir können zu einem früheren Zeitpunkt mit den rehabilitativen Behandlungen starten, was sich positiv auf die Therapie auswirkt.

Und schliesslich hat sich die Wahrnehmung der Rehabilitation ganz allgemein gewandelt. Während die Reha früher noch des Öfteren etwas klischiert als «Bäderkur» oder «Sanatorium» belächelt wurde, gilt sie heute als wichtige Disziplin mit hohem wissenschaftlichem und medizinischem Anspruch.

Dr. med. Heiner Brunnschweiler, Stv. Chefarzt Neurologie

Ihr Spezialgebiet bzw. Beschäftigungsfeld sind die sogenannten «Bewegungsstörungen», welche ganz unterschiedliche neurologische Erkrankungen umfassen. Die häufigste ist die Parkinson-Krankheit. Wie sehen dort die Therapie- und Behandlungsmöglichkeiten aus im Vergleich zu früher?

Parkinson ist sicher eine der häufigsten Formen bei den Bewegungsstörungen. Im Unterschied etwa zur Multiplen Sklerose (MS), wo es heute sehr gute Möglichkeiten zur Behandlung der Krankheit gibt, lässt sich Parkinson nach wie vor nicht heilen in dem Sinne, dass sich der Krankheitsverlauf stoppen lässt. Es gibt aber sehr gute symptomatische Behandlungen mit Medikamenten und in ausgewählten Fällen auch mittels Hirnstimulation. Zudem kann die Rehabilitation einen ganz wichtigen Beitrag zu einer besseren Lebensqualität im Alltag leisten.

In welchem Stadium ihrer Erkrankung kommen Parkinson-Patientinnen und -Patienten normalerweise in die Reha Rheinfelden und wie gestaltet sich die interdisziplinäre Behandlung?

Das ist tatsächlich sehr individuell und von ganz verschiedenen Gegebenheiten und Faktoren abhängig. Fragen sind hier beispielsweise: Wie kommt jemand zugange mit seinen Einschränkungen? Wie ist die Akzeptanz in Bezug auf die Erkrankung? Wie ist eine Person sozial eingebettet und medizinisch versorgt? Auf dieser Basis gilt es dann auch zu entscheiden, ob eine im Schnitt drei- bis vierwöchige stationäre oder eher eine ambulante rehabilitative Massnahme sinnvoll ist. Es gibt hier kein Patentrezept und auch die individuellen Vorlieben der Betroffenen spielen eine Rolle.

Und gerade weil Parkinson so viele verschiedene Facetten hat und es eben nicht die «Wunderpille» gibt, ist eine interdisziplinäre Behandlung eine Notwendigkeit: Je nach Symptomen – motorische Aspekte, Zittern, Angstsymptome, kognitive Symptome, Verstopfung, Nachtschlafstörungen etc. – müssen die Probleme aus unterschiedlicher Richtung angegangen werden.

Daher können je nach Fall neben der medikamentösen Behandlung auch ganz verschiedene Therapien zum Einsatz kommen. Wichtige Pfeiler sind hier die Physiotherapie für die Bewegungsabläufe, die Ergotherapie für die Förderung von Alltagsaktivitäten wie Körperpflege oder sich anziehen oder auch schreiben, die Logopädie für die Bereiche Schlucken und Sprechen und schliesslich die Psychologie bzw. Neuropsychologie, um den Umgang mit der Erkrankung zu verbessern und für die kognitive Thematik. Hier stellen sich Fragen wie: «Was ist noch möglich? Was darf und kann ich mir zutrauen? Und wo muss ich auch loslassen? Auto fahren ist in diesem Zusammenhang beispielsweise immer wieder ein Thema oder auch die Berufssituation.

«Die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Ärzten, Therapie, Pflege und Sozialdienst ist unabdingbar und ein Erfolgsmodell im Umgang mit Parkinson.»

Betrifft eine Parkinson-Erkrankung eigentlich vorwiegend ältere Menschen? Oder sind auch junge Personen betroffen?

Das typische Parkinson-Syndrom beginnt im Durchschnitt so um das fünfzigste Altersjahr, also im mittleren Lebensalter. Es ist demnach nicht so, wie man vielleicht denken könnte, dass nur ältere Menschen mit 70 oder 80 Jahren betroffen sind. Die genauen Ursachen sind bis heute nicht klar. Es gibt sicher eine genetische Komponente, aber Parkinson ist keine klassische Erbrkankheit. Hinzu kommen Umweltfaktoren. Hier diskutiert man Vergiftungen zum Beispiel durch Rückstände von Düngemitteln oder Pestizide. Aber auch gewisse Medikamente stehen im Fokus der Forschung.

 

Haben Parkinson-Erkrankungen generell zugenommen?

Ich habe den Eindruck, die Parkinson-Fälle nähmen zu. Aber als das Syndrom 1812 von James Parkinson erstmals beschrieben wurde, hatte man auch das Gefühl, die Krankheit habe früher gar nicht existiert. Dabei gibt es schon in der ayurvedischen Medizin Hinweise darauf. Die scheinbare Häufung ist also auch eine Frage der besseren Diagnosemöglichkeiten, die wir heute haben. Zudem werden die Menschen immer älter, sodass auch immer mehr schwere, fortgeschrittene Formen sichtbar werden. Frühformen sind oftmals gar nicht offensichtlich zu erkennen.

 

Sie haben nun die Rolle der Reha Rheinfelden bei der Behandlung von Parkinson-Patientinnen und -Patienten etwas beleuchtet. Wie sieht es aber aus, wenn die betroffenen Menschen nach einem stationären Aufenthalt oder einer ambulanten Behandlung wieder aus der Obhut der Reha entlassen werden? Welche Rolle spielen hier beispielsweise die Angehörigen?

Auch das ist wiederum sehr individuell. Viele Parkinson-Patientinnen und -Patienten kommen von Anfang an mit Angehörigen wie Partnerin oder Partner in die Sprechstunde. Das erlaubt, von Beginn weg zwei Wahrnehmungen aufzunehmen, was gerade bei diesem Krankheitsbild nicht unwesentlich ist, da die Eigen- und die Aussenwahrnehmung sehr unterschiedlich sein können. Die Anwesenheit einer vertrauten Person kann hier also sehr wertvoll sein.

Je nach Stadium der Krankheit nehmen die Angehörigen aber vor allem zu Hause bei der Pflege und Betreuung der erkrankten Person eine sehr wichtige Rolle ein. Wenn ein Parkinson-Patient jede Nacht mehrmals erwacht und z.B. nicht alleine auf die Toilette gehen kann oder aufgrund von Zittern nicht mehr fähig ist, selbständig zu essen, so ist das eine grosse Herausforderung für die Partnerin oder den Partner und oftmals braucht es dann auch externe Hilfe.

 

Neben der bewährten internen Kooperation bei der interdisziplinären Zusammenarbeit und dem eben erwähnten teilweise engen Austausch mit den Angehörigen gibt es auch externe Kooperationen – beispielsweise mit dem Unispital Basel oder dem Parkinsonteam Basel & Nordwestschweiz. Wie gestalten sich diese Partnerschaften?

Ich habe ja einen grossen Teil meiner Ausbildung in Basel gemacht und pflege seit dieser Zeit einen guten Austausch, der sich über den Kontakt zum damaligen Leiter des Labors für Bewegungsstörungen am Unispital Basel, Prof. Dr. Peter Fuhr, etabliert hat. So bin ich bis heute jeweils einen Vormittag pro Woche in Basel in der Sprechstunde für Bewegungsstörungen und nehme auch am Reha-Rapport der Neurologie am Unispital teil, wo die Patientinnen und Patienten besprochen werden, die allenfalls zu uns an die Reha Rheinfelden kommen. Das ist eine wichtige Schnittstelle zwischen den beiden Kliniken, die seit über 20 Jahren besteht und sich bewährt hat.

Der Verein Parkinson Team Basel & Nordwestschweiz geht ebenfalls auf die Initiative von Prof. Dr. Peter Fuhr zurück. Die Idee ist hier, dass sich alle Fachleute und Berufsgruppen, die sich mit Bewegungsstörungen beschäftigen, regelmässig austauschen können bei einem jährlichen Treffen. Im Jahr 2023 fand das Treffen in Basel statt, 2024 wird Rheinfelden an der Reihe sein.

Daneben finden jährlich seit dem Jahr 2000 Parkinson-Infotagungen für Betroffene und Angehörige statt. Diese werden in Zusammenarbeit mit Parkinson Schweiz durchgeführt und seit nun über 10 Jahren zusammen mit dem Kantonsspital Aarau (KSA) und dem Universitätsspital Basel (USB) abwechselnd an den drei Standorten. So fand die letzte Tagung in Aarau am 9. November 2023 mit einer Beteiligung von rund 150 Personen statt.

 

Nach 24 Jahren neigt sich nun Ihre Ära an der Reha Rheinfelden dem Ende entgegen. Sie gehen Ende 2023 in Pension. Wie geht es in «Ihrem Bereich» an der Reha weiter?

Ich freue mich sehr, dass die Reha Rheinfelden mit PD Dr. David Benninger einen hervorragenden Nachfolger gefunden hat. Er hat seine Stelle bereits im Dezember 2023 angetreten und neben seinen Aufgaben als Stellvertretender Chefarzt die fachliche Leitung der Therapie und Rehabilitation von Patientinnen und Patienten mit Parkinson und anderen Bewegungsstörungen übernommen. Ich bin sicher, dass er mit seinen Kompetenzen und seiner Expertise gerade auch im Bereich der tiefen Hirnstimulation viele neue Impulse für die Zukunft geben und auch den Bereich Forschung an der Reha Rheinfelden weiter ausbauen wird.

PD Dr. med. David Benninger, Stv. Chefarzt Neurologie

Für Kontinuität und die Weiterentwicklung hier an der Reha ist also gesorgt. Wie werden Sie Ihre persönliche Zukunft gestalten?

Ich werde ab Ende Dezember tatsächlich gar nicht mehr in der Medizin arbeiten, sondern möchte mich noch ein paar ganz anderen Dingen widmen. So werde ich vermehrt Zeit in meinem Elternhaus in Gorizia in Nordost-Italien an der Grenze zu Slowenien verbringen und möchte mich stärker in zwei Projekten engagieren, die mir am Herzen liegen: Das erste betrifft die Betreuung von Kindern und Jugendlichen mit Lern- und Aufmerksamkeitsstörungen. Und im zweiten Projekt geht es um meine Heimatstadt Gorizia, welche zusammen mit der slowenischen Nachbarstadt Nova Gorica Kulturhauptstadt Europas 2025 sein wird. In diesem Zusammenhang werde ich als Touristen- und Fremdenführer unterwegs sein, worauf ich mich sehr freue. Es wird mir also auch nach meiner erfüllten Zeit hier an der Reha Rheinfelden sicher nicht langweilig werden.

Mir bleibt, der Reha Rheinfelden für eine spannende, bewegte Zeit mit wichtigen Entwicklungsschritten zu danken und der Klinik sowie dem ganzen Team alles Gute für die Zukunft zu wünschen. Es ist ein grosses Know-how und enormes Fachwissen an der Reha vorhanden. Wenn sich dieses weiterhin gemeinsam und zielgerichtet im Sinne des Wesentlichen – nämlich der optimalen Therapie und Versorgung der Patientinnen und Patienten – nutzen lässt, so ist die Reha Rheinfelden bestens für die kommende Zeit aufgestellt.

Reha Rheinfelden

Rehabilitationszentrum