Selbstbestimmt leben

Erfahren Sie im Interview mit unserem Leitenden Arzt Dr. med. Martin Alt, warum es eine Altersmedizin eigentlich braucht und was dabei zu berücksichtigen ist. Er ist Facharzt für Allgemeine Innere Medizin, spezialisiert auf Geriatrie (Qualifikation Altersmedizin).

Geriatrie

Bei der Behandlung von älteren Patientinnen und Patienten wird das Zusammentreffen mehrerer Erkrankungen, die sogenannte Multimorbidität, besonders berücksichtigt. Die Geriatrische Rehabilitation als Teilgebiet der Geriatrie (Alterskunde) hat zum Ziel, die Betroffenen in ein selbständiges und selbstbestimmtes Leben zurückzuführen und eine Pflegeabhängigkeit zu vermeiden.

Reha: Herr Dr. Alt, warum braucht es eigentlich eine Altersmedizin?

Dr. med. Martin Alt: Wir werden tendenziell immer älter und das Altern ist in unserer Gesellschaft wie die verschiedenen Lebensweisen heutzutage etwas völlig Individuelles, dies gilt es auch in der Medizin beziehungsweise bei der Behandlung älterer Patientinnen und Patienten zu beachten. Die ältere Generation ist zu Recht selbstbewusst und möchte auch im höheren Lebensalter selbständig sowie selbstbestimmt leben. Wir Geriaterinnen und Geriater möchten sie dabei so gut wie möglich unterstützen.

 

Wie unterscheidet sich die geriatrische Rehabilitation von anderen Rehabilitationsformen?

Geriatrische Patientinnen und Patienten (per Definition ab dem 65. Lebensjahr) haben neben dem Rehabilitationsgrund oft zahlreiche weitere Erkrankungen, müssen meistens mehrere Medikamente einnehmen und benötigen ein spezielles Setting, da sie besondere Bedürfnisse aufweisen. Vor allem im stationären Bereich braucht es dafür auf allen Ebenen speziell geschulte und erfahrene Fachkräfte. Die Behandlung muss hochindividuell erfolgen, zudem sollte die laufende Therapie so flexibel wie möglich sein und auf mögliche Veränderungen rasch reagieren können.

 

Wann ist die geriatrische Rehabilitation die richtige Wahl?

Wer sich zum Beispiel aufgrund von Herzschwäche, Parkinson, Arthrose oder einer anderen chronischen Erkrankung immer mehr zurückzieht und seine Aktivitäten im Alltag einschränkt, kann von einer geriatrischen Rehabilitation profitieren. Die meisten unserer Patientinnen und Patienten kommen allerdings nach einer akutmedizinischen Behandlung oder einer Operation (z. B. nach einem Oberschenkelhalsbruch oder einem Gelenkersatz) von einem unserer Zuweiserspitäler für eine Anschlussbehandlung.

 

Welches sind die häufigsten Indikationen?

Tatsächlich sind Aufenthalte nach orthopädischen Operationen oder akuten Hirnschlägen am häufigsten.

 

Welches ist die besondere Herausforderung beim multimorbiden Patienten?

Multimorbidität bezeichnet das Vorhandensein mehrerer, in der Regel chronischer Erkrankungen, was die Behandlung komplex und besonders herausfordernd macht. Oft ist der Verlauf aufgrund geringerer Ressourcen länger, die angestrebten Verbesserungen benötigen mehr Zeit, Fortschritte werden stetig, aber langsam erzielt. Es gilt, den gesamten Menschen im Auge zu behalten und die Zusammenhänge zu verstehen. Dafür braucht es viel Erfahrung und Aufmerksamkeit.

 

Welche Therapien kommen in der Regel zur Anwendung?

Die Therapien unterscheiden sich nicht wesentlich von den Therapieformen nichtgeriatrischer Patientinnen und Patienten, alle Therapiedisziplinen (Physio-, Ergo- und Elektrotherapie, Logopädie, medizinische Trainingstherapie, passive und entstauende Massnahmen wie Massagen, Wärmeanwendungen oder Lymphdrainage) kommen zum Einsatz. Vermehrt werden Hilfsmittel eingesetzt, zum Beispiel für das Training eines sicheren und ausdauernden Gangs oder das selbständige Ankleiden und Essen bei neurologischen Funktionsausfällen. Die Pflege ist in der Regel aktivierend, das heisst, es werden die noch vorhandenen Aktivitäten des täglichen Lebens erfasst und gezielt gefördert.

 

Was ist das Ziel der Rehabilitationsmassnahmen?

Das Ziel bei uns in der Reha Rheinfelden ist mit nur sehr wenigen Ausnahmen die Rückkehr in die zuvor bestehenden Wohnverhältnisse, das heisst der Austritt nach Hause, und dies mit der grösstmöglichen Mobilität und Selbständigkeit. Dies wenn immer möglich schmerzfrei, mit weniger Medikamenten als vor dem Eintritt und mit einem Konzept, wie die erreichten Erfolge daheim zumindest erhalten, besser noch weiter verbessert werden können. Ist der Austritt in die eigenen vier Wände nur mit den nötigen spitalexternen Hilfen möglich, besprechen wir das rechtzeitig und ausführlich mit unseren Patientinnen und Patienten und deren Angehörigen. Die Hilfen werden dann auch von unserem Sozialdienst organisiert.

 

Haben Sie einen Ratschlag an die Menschen, um sich im Alter gesund zu halten?

Sicher sollte man vermeidbare Faktoren, die den Körper stetig schädigen, behandeln beziehungsweise unter Kontrolle halten. Schlecht sind auf Dauer hohe Cholesterinwerte, ein zu hoher Blutdruck oder ein ungenügend eingestellter Diabetes mellitus, zudem ist Übergewicht ab einem gewissen Punkt problematisch. Rauchen sollte vermieden, Alkohol mit Mass genossen werden. Im Alter von 50 Jahren wird eine Darmspiegelung empfohlen, die dann in der Regel alle 10 Jahre wiederholt werden sollte. Die aktuell empfohlenen Impfungen inklusive der jährlichen Grippeimpfung sollten nicht ausgelassen werden. Wichtig sind ebenfalls eine regelmässige körperliche Betätigung, empfohlen werden mindestens 150 Minuten Ausdauertraining pro Woche, sowie das stetige Interesse an geistiger Aktivität, dem aktuellen Tagesgeschehen und den laufenden Entwicklungen. Ganz wichtig sind soziale Kontakte, wenn immer möglich sollten sie erhalten oder falls nötig neu aufgebaut werden, bei Bedarf auch mit professioneller Unterstützung zum Beispiel durch die Pro Senectute oder eine andere Organisation, die für ältere Menschen Beratung und Unterstützung anbietet. Die Geriaterinnen und Geriater der Schweiz sowie unser Sozialdienst kennen die Angebote. Natürlich ist auch eine ausgewogene und ausreichende Ernährung wichtig, diese sollte viel Proteine, also Eiweisse, enthalten.

Zusammenfassend bleiben auch im Alter zufriedene, aktive und am sozialen Leben teilnehmende Menschen länger gesund und selbständig. Jeder sollte das machen, was er kann und dabei seine Möglichkeiten fördern und seine Grenzen erkennen.

Dr. med. Martin Alt

Leitender Arzt Geriatrie